Elektromobilität fordert globalisierte Wertschöpfungsketten

„EMO goes mobile“ – elektrisch in die Zukunft: Veränderten Produktionsbedingungen durch den Umstieg auf Elektromobilität trug die EMO Hannover 2013 Rechnung mit flexiblen Konzepten für angepasste Fertigungsstrukturen. Im Fokus standen neue Wertschöpfungsketten im elektrischen Antriebsstrang. Autor: Walter Frick, Fachjournalist aus Weikersheim

Beim Elektrofahrzeug der Zukunft bleibt durch den Wegfall eines zentralen Motors die Fahrzeugmitte frei, was völlig neue Gestaltungskonzepte ermöglicht.
Foto: BMW, München

Beim Elektrofahrzeug der Zukunft bleibt durch den Wegfall eines zentralen Motors die Fahrzeugmitte frei, was völlig neue Gestaltungskonzepte ermöglicht. Foto: BMW, München

Prof. Dr.-Ing. Matthias Busse
geschäftsführender Institutsleiter IFAM.

„Der Radnabenmotor ist nach unserer Einschätzung die nächste bis übernächste Generation von Antrieben, die Fahrzeugkonzepte weiter nennenswert verändern können. “

Die globale Präsentation des ersten, rein elektrisch angetriebenen Serienmodells der BMW Group – zeitgleich in New York, London, Peking – entspricht den Anforderungen an künftige Produktionskonzepte. Die Innovation spiegelt sich auch in der globalen Wertschöpfungskette wider: Im BMW-Werk Dingolfing entstehen Batterie, Getriebe und Aluminium-Struktur für das Drive-Modul, das Werk Landshut produziert CFK-Komponenten, Gussteile und Cockpit sowie den selbst entwickelten Elektromotor.

Neue Wege auch bei Produktion und Verarbeitung der CFK-Fahrgastzelle: Das in Moses Lake (USA) gemeinsam mit der SGL Group betriebene Carbonfaserwerk ist fest in die Wertschöpfungskette eingebunden. Die dort produzierten Faserbündel werden im Innovationspark Wackersdorf zu leichten textilen Gelegen weiterverarbeitet. Diese bilden das Ausgangsmaterial für die Herstellung von CFK-Bauteilen und CFK-Komponenten in den Werken Landshut und Leipzig.

Elektrofahrzeug mit CFK-Fahrgastzelle, Aluminium-Modul für Antrieb und neuentwickeltem Elektromotor, Leistungselektronik und Hochleistungs-Lithium-Ionen-Batterie. 
Foto: BMW, München

Elektrofahrzeug mit CFK-Fahrgastzelle, Aluminium-Modul für Antrieb und neuentwickeltem Elektromotor, Leistungselektronik und Hochleistungs-Lithium-Ionen-Batterie. Foto: BMW, München

Wandel der Wertschöpfungsketten

Vor drei Jahren bereits warnte der damalige Fraunhofer-Präsident Professor Hans-Jörg Bullinger, der Umstieg auf die Elektromobilität bedeute einen tiefgreifenden Wandel für die Produktionstechnik. So werde sich im Automobilbau die gesamte Wertschöpfungskette ändern.

Diese Aussage kann Prof. Dr.-Ing. Matthias Busse, geschäftsführender Institutsleiter des Bremer Fraunhofer-Instituts für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung (IFAM), auch heute noch „nur unterstreichen“. Gleichwohl werde sich die Entwicklung auf der Zeitachse „doch weiter strecken, als wir es noch vor zwei oder drei Jahren geglaubt haben. Es wird keinen Ruck geben. Vielmehr wird sich das Portfolio in der Wertschöpfungskette kontinuierlich verschieben“.

Dass damit der Werkzeugmaschinenindustrie ein ganzes Anwendungsspektrum ersatzlos wegbricht, glaubt der IFAM-Chef nicht: „Es werden sich einfach die Stückzahlverhältnisse ändern. Über die Zeit gesehen wird sich die Anzahl der klassischen Bauteile wie Zylinderkopf und Kurbelgehäuse reduzieren – das Bearbeitungsspektrum verschiebt sich nur.“

Werkzeugmaschinen sind auch unerlässlich zur Bearbeitung von Elektromotoren und jenen Komponenten, die man im „elektrischen Antriebsstrang“ verbaut. Zusätzlich werden weitere Technologien zum Einsatz kommen – z. B. in der Prozesstechnik zur Batteriefertigung. Den Werkzeugmaschinenherstellern rät Busse, „sich jetzt schon mit diesen Dingen sehr intensiv auseinanderzusetzen“. Denn auch die großen Automobilhersteller haben längst begonnen, Fertigungslinien auf die Herstellung elektromotorischer Komponenten umzurüsten. Jene, die in der Entwicklung dieser neuen Komponenten und der dazugehörigen Fertigungstechnik von Anfang an dabei sind, „die werden auch nachher diejenigen sein, die die Nase vorn haben – und auch in der Zulieferkette ganz vorn stehen“.

Stator eines Radnabenmotors, montiert am „Fraunhofer electric car concept“, ein funktionstüchtiges Elektroauto mit Fahrzeugkomponenten für Antrieb, Batteriesystem, Fahrzeugsteuerung und Netzintegration.
Foto: Fraunhofer IFAM

Stator eines Radnabenmotors, montiert am „Fraunhofer electric car concept“, ein funktionstüchtiges Elektroauto mit Fahrzeugkomponenten für Antrieb, Batteriesystem, Fahrzeugsteuerung und Netzintegration. Foto: Fraunhofer IFAM

Impulse für das Elektroauto von morgen

Die „Werkzeugmaschine von morgen“ wird weiterhin die klassischen Merkmale aufweisen, allerdings mit „zunehmender Intelligenz und Flexibilität“ – also mit zusätzlicher Sensorik und neuen Technologien ausgestattet. Denn beispielsweise der Bedarf an Komponenten und funktionsintegrierten Bauteilen, die nur noch generativ oder additiv hergestellt werden können, wird weiter wachsen. Es müssen neue Werkstoffe und Werkstoffkombinationen bearbeitet werden. Darauf müsse sich die Werkzeugmaschinenindustrie rechtzeitig einstellen. Gleichwohl werden die konventionellen Technologien von der Gießereitechnik über die spanende Fertigung bis zur Fügetechnik „auch in Zukunft unverzichtbar bleiben“.

Eine eigene Fraunhofer-Entwicklung ist „Frecco“ (Fraunhofer electric car concept). Darin wurde marktverfügbare Technik integriert und das Zusammenspiel dieser Komponenten optimiert. In einer jüngeren Ausbaustufe stecken von den Fraunhofer-Wissenschaftlern neu entwickelte Komponenten. Aufgebaut wurde ein funktionstüchtiges Elektroauto mit Fahrzeugkomponenten für Antrieb, Batteriesystem, Fahrzeugsteuerung und Netzintegration. Der dabei verwendete Radnabenmotor, so Busse, „ist nach unserer Einschätzung die nächste bis übernächste Generation von Antrieben, die Fahrzeugkonzepte weiter nennenswert verändern können“.

Durch den Wegfall eines zentralen Motors bleibt die Fahrzeugmitte frei, die Batterien könne man modular verteilen, was völlig neue Gestaltungskonzepte ermögliche. Hinzu kämen verbesserte fahrdynamische Eigenschaften, weil jedes Rad einzeln abgebremst und beschleunigt werden kann.

Zukünftige Anwendungsgebiete für Radnabenmotoren sieht der Fraunhofer-Wissenschaftler in verschiedenen Bereichen, von angetriebenen Arbeitsmaschinen bis zur Landmaschinentechnik: „Ein solcher individueller Antrieb, hochintegriert mit eingebauter Leistungselektronik, kann modular aufgebaut werden.“ Man arbeite an richtungsweisenden neuen Konzepten, „die als Impulse in die zukünftige Fahrzeugentwicklung eingehen werden“. Die Werkzeugmaschinenindustrie sei gut beraten, „jetzt strategisch vorauszudenken und Entwicklungstendenzen zu erkennen und mitzugestalten“.

Hoher Innovationsdruck

Der von Hans-Jörg Bullinger angesprochene Wandel in der Wertschöpfungskette des Automobilbaus, erläutert Priv.-Doz. Dr.-Ing. Welf-Guntram Drossel, Leiter des Chemnitzer Fraunhofer-Instituts für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU), „ist in den letzten Jahren noch nicht mit der erwarteten Vehemenz spürbar geworden. Aufgrund bestehender Hürden auf dem Gebiet der Energiespeichertechnik bleibt den Werkzeugmaschinenherstellern noch Zeit, sich auf die Veränderungen einzustellen“.

Haupttrend für die nächsten Jahre ist die Hybridisierung des Antriebsstrangs mit hoch-effizienten Verbrennungsmotoren in Kombination mit verschiedenen Formen von Elektroantrieben. Das erzeugt einen hohen Innovationsdruck bei der Entwicklung von neuen Werkstoffen, Werkzeugen, Technologien und Werkzeugmaschinenkonzepten inkl. hybrider Verfahren: „Die Produktion von morgen benötigt flexible Maschinen, die sich an die steigende Variantenvielfalt und veränderte Anforderungen anpassen“. Die zunehmende Vernetzung der Produktionstechnologie, die man heute unter dem Begriff Industrie 4.0 zusammenfasst, biete den Werkzeugmaschinenherstellern die Möglichkeit, Prozessketten bereits bei der Entwicklung neuer Maschinen ganzheitlicher zu betrachten und wichtige Kenngrößen der Produktionsabläufe wie Energieeinsatz und Ressourcenverbrauch bewertbar und planbar zu gestalten. Zudem entwickeln sich Werkzeugmaschinenhersteller zunehmend vom reinen Maschinenlieferanten hin zum Bereitsteller kompletter „Technologiepakete“, zu denen auch produktbezogene Dienstleistungen wie Beratung, Condition Monitoring, Service und Montage oder auch Softwareentwicklung gehören. Die gesamte IuK-Technologie „wird der entscheidende Enabler der zukünftigen Entwicklung von Werkzeugmaschinen und Produktionssystemen sein“.

Neben der ganzheitlichen Betrachtung von Prozessketten, so der Chemnitzer Fraunhofer-Forscher, „werden bei der Technologie auch die Werkstoffwissenschaften eine ebenso große Rolle spielen. Wer das Potenzial von neuen Werkstoffen und Materialien rechtzeitig erkennt, kann neue Technologien, verbesserte Prozessketten und damit entscheidende Wettbewerbsvorteile erarbeiten“. Darüber hinaus werde Ressourceneffizienz zunehmend zu einem Wettbewerbsfaktor: So entwickeln sich beispielsweise neue Anwendungsfelder für Maschinen, die Demontageaufgaben übernehmen, um die Werkstoffe in hohem Veredelungsgrad wieder zu verwenden.

Gravierende Auswirkungen auf die Zulieferindustrie sieht Drossel nicht: „Die bestehende Arbeitsteilung im Bereich der OEMs und Zulieferer bleibt aus unserer Sicht unverändert. Der Trend zur Lieferung kompletter Baugruppen wird sich zunehmend in Richtung Entwicklungspartnerschaft erweitern. Da die Automobilhersteller ihre Modelle weltweit produzieren, können sich Maschinenhersteller mit globalen Produktions- und Vertriebsnetzen hier Wettbewerbsvorteile erarbeiten.“

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