Rationelle Großteilebearbeitung

Große Lasten bewegen ist eine Sache, Großteile bearbeiten eine andere. Beim Transport schwerer Lasten ist die Scheuerle Fahrzeugfabrik GmbH mit ihrer SPMT-Technologie und über 16.000 Tonnen bewegter Nutzlast bereits Weltmeister. Auch bei der Großteilebearbeitung der Trägerplattformen gelang nun ein gewaltiger Sprung: Dank eines neuen Soraluce-Dreh/Fräs-Bearbeitungszentrums in Kombination mit Hochleistungswerkzeugen und Schneidstoffen hat sich die Bearbeitungszeit auf ein Drittel reduziert.

Im Korloy-Werk in Jincheon stehen hochmoderne Fertigungs- und Beschichtungsanlagen zur Herstellung der Werkzeuge und Schneidplatten.

Im Korloy-Werk in Jincheon stehen hochmoderne Fertigungs- und Beschichtungsanlagen zur Herstellung der Werkzeuge und Schneidplatten.

Um tausende Tonnen schwere Industrieanlagen, U-Boote, Luxusjachten oder komplette Gebäude zu transportieren, werden extrem belastbare Trägerplattformen benötigt. Die TII Group, zu der die Scheuerle Fahrzeugfabrik gehört, ist Spezialist bei der Herstellung von Schwerlastfahrzeugen. Eine wichtige Schlüsseltechnologie stellt dabei die SPMT-Plattform dar – ein System modularer, selbst angetriebener Fahrzeuge für den Transport extrem schwerer Lasten. Die Moduleinheit mit vier Achslinien bringt es auf rund 25 t Eigengewicht und kann rund 360 t Nutzlast aufnehmen.

Auch Sonderwerkzeuge beispielsweise für die Rückwärtsbearbeitung stammen von Korloy.

Auch Sonderwerkzeuge beispielsweise für die Rückwärtsbearbeitung stammen von Korloy.

BAZ mit Universalkopf und schwenkbarem Drehtisch

Die Fertigung dieser mobilen XXL-Trägerplattformen ist eine tägliche Herausforderung für das Team im Werk Pfedelbach (D). Das geschweißte Stahlgerüst muss für die Aufnahme der Achsen, Pendelachsen und Kupplungen in mehreren Arbeitsgängen gebohrt und gefräst werden. Mit der Anschaffung eines neuen Soraluce Hochleistungs-Bohr/Fräszentrums erhöhten sich nicht nur Effizienz, sondern auch Zuverlässigkeit und Planbarkeit: „Obwohl wir die bisherige Maschine bereits einem Retrofit unterzogen hatten, gab es Raum zur Kapazitätssteigerung. Die alten Maschinen erreichten darüber hinaus lediglich 1.000 U/min, heute liegen wir bei 5.000 U/min – die Vorteile liegen auf der Hand“, erklärt Simon Gunne, Fertigungsleiter bei Scheuerle.

Bei der Maschinenauswahl waren drei abnahmerelevante Bauteile mit Vorgabezeiten definiert – zwei unterschiedliche Plattformen und ein Verbindungselement (Kupplungsstück). Zuvor hatte Hak-Do Hwang mit seinem Unternehmen HHS Zerspanungswerkzeuge, der als externer Werkzeugberater den Sonderfahrzeugbauer schon einige Jahre bei der Werkzeugauswahl betreut, die gewünschten Schnittdaten ermittelt. Simon Gunne weiß das zu schätzen: „Wir haben uns für ihn als langjährigen Partner bei Werkzeugfragen entschieden. Er kommt regelmäßig zu uns ins Haus, macht Vorschläge und Tests zur Prozessoptimierung und unterstützt unseren kontinuierlichen Verbesserungsprozess. Wenn sich die Versuche bewähren, dann stellen wir auf neue Werkzeuge um.“ Bei Werkzeugen und Wendeschneidplatten vertraut HHS seit vielen Jahren auf den südkoreanischen Hersteller Korloy, der zu den Führenden Präzisionswerkherstellern gehört.

Auf Maschinenseite machte die Soraluce FP 18000 das Rennen. Mit einem integrierten flexiblen Universalkopf, schwenkbaren Drehtisch und 80-fach Werkzeugwechsler ausgestattet, erfüllte das Bearbeitungszentrum alle Vorgaben. Musste der Bediener den mechanischen Winkelkopf auf der alten Maschine noch mittels Messuhr einstellen, ist die Einstellung bei der Soraluce schon im Programm enthalten. Dadurch konnte die teilmechanische Fertigung vollautomatisiert werden. Diese neue Soraluce ist nur eine von vielen ersetzten Maschinen aus dem laufenden Optimierungsprogramm, mit dem Scheuerle 2007 startete.

Ein Lieferant schafft Sicherheit: Die Fertigung bei Scheuerle verwendet bereits an vier Maschinen Werkzeuge und Wendeschneidplatten von Korloy.

Ein Lieferant schafft Sicherheit: Die Fertigung bei Scheuerle verwendet bereits an vier Maschinen Werkzeuge und Wendeschneidplatten von Korloy.

Prozessoptimierung im Echtbetrieb

Die Werkzeugauswahl war trotz des engen Kontakts zum externen Werkzeugberater noch nicht vollends entschieden. Daneben befand sich noch ein führender deutscher Werkzeughersteller mit im Boot. „Aufgrund der komplexen Bearbeitungsaufgaben zog der deutsche Maschinenausrüster sein Angebot zurück“, erinnert sich Fertigungsleiter Simon Gunne. Und der Werkzeugberater ergänzt: „Ein solches Bauteil kann man nicht einfach ins Optimierungszentrum des Werkzeugherstellers schicken und dann den schlüsselfertigen Prozess zurück erwarten, da muss man sich vor Ort live herantasten – und das funktionierte in diesem Falle recht gut.“

Eine kleinere Doosan-Maschine HM800 wurde schon ein Jahr zuvor mit Komplettwerkzeugwechsler und neuen Werkzeugen von Korloy eingeführt. „Daraufhin haben wir dann auch die Fertigungsoptimierung bei den großen Bauteilen vorangetrieben“, erläutert Scheuerle-Industriemeister Patrik Staate. Mit Einzug der neuen Soraluce hat das Fertigungsteam den gesamten Bearbeitungsprozess analysiert und optimiert. Sichere Prozesse und höchstmögliche Produktivitätszuwächse bei höchsten Qualitätsansprüchen standen dabei im Vordergrund. Um neue Werkzeugkonzepte mit entsprechenden Zykluszeiten einzuführen, braucht es viel Erfahrung – und die enge Zusammenarbeit aller Beteiligten. Scheuerle bringt das Know-how in der Plattformbearbeitung mit und der Werkzeugberater weiß auf Maschinen- und Werkzeugseite, welche Schnittparameter mit welchen Werkzeugen man der Maschine zutrauen kann. „So etwas steht nirgendwo in den Lehrbüchern. Das basiert auf Praxiserfahrung und einer seit vier Jahren bestehenden Kooperation“, ist sich der Werkzeugexperte sicher.

Vier Monate benötigte er schließlich für das innovative Fertigungskonzept: „Zeichnung im Kopf, alle Werkzeuge durchgehen, die Stahlbauteile vor Ort vermessen, um die Verfahrwege in den Griff zu bekommen, testen, ob die 80 Werkzeuge in den Winkelkopf passen.“ Sämtliche Arbeitsgänge mussten eingefahren und optimiert werden: Planfräsen, Bohren, Ausspindeln, Gewindeschneiden und zusätzlich zirkulares Ausfräsen, welches auf der alten Maschine nicht möglich war.

Die Werkzeuge erhielten eine Innenkühlung, um den Ansprüchen der Hochleistungszerspanung gerecht zu werden. Beim Fräsen hat sich bei Scheuerle die Trockenbearbeitung durchgesetzt: Die neuen Fräser erzeugen entsprechend kurze Späne, so dass die Temperatur größtenteils über den Span weggetragen wird. Aber erst im Zusammenspiel mit dem neuen Bearbeitungszentrum war eine solche Prozess- und Werkzeugoptimierung überhaupt möglich. „Was nützen die besten Werkzeuge und Wendeschneidplatten, wenn die Maschine aufgrund ihrer Leistungsparameter dies nicht voll ausschöpfen kann?“, gibt der Berater zu bedenken.

Über 3 m lange Sonderbohrstangen (oben im Gestell liegend) zum Ausspindeln der 1.500 mm tiefen Bohrungen – unten eine der alten HSS-Stangen.

Über 3 m lange Sonderbohrstangen (oben im Gestell liegend) zum Ausspindeln der 1.500 mm tiefen Bohrungen – unten eine der alten HSS-Stangen.

Sicher in die Tiefe bohren

Zum Bohren der Kupplungslöcher setzte Scheuerle schon immer drei Meter lange Bohrstangen ein – jedoch mit HSS-Meißel. Um zum Schlichten ein Hundertstel zuzustellen, wurde manuell nachjustiert. Wenn bei tiefen Bohrungen kein Kühlwasser mehr an die Schneide gelangte, war unter Umständen eine zeitintensive Nachbearbeitung nötig.

Jetzt wird zum Ausspindeln ein modulares, innengekühltes Bohrwerkzeug verwendet. Aufgrund des modularen Aufbaus können unterschiedliche Auskragungen bis zu drei Meter Auskraglänge damit abgedeckt werden. Damit wird ein Bohrloch von 1.500 mm und 96 mm Durchmesser ausgespindelt. Die Löcher werden im ersten Schritt geschruppt und anschließend geschlichtet. „Ich hatte eine Idee, wie wir das bewerkstelligen können, machte ein Konzept und Zeichnungen und ließ die Sonderwerkzeuge beim Hersteller anfertigen – das war natürlich ein Risiko“, meint der Werkzeugberater. Bei den selbstgebauten Plattformen erhöht dieser Prozess die Qualität. Ein Umstand, der die Scheuerle Fahrzeugfabrik wesentlich vom Wettbewerb unterscheidet, der vermehrt vorgefertigte Teile aus Osteuropa bezieht.

Prozesssicher und dreimal schneller: Simon Gunne, Fertigungsleiter der Scheuerle Fahrzeugfabrik, kann sich auf die neue Bimatec FP 18000 mit flexiblem Universalkopf, schwenkbarem Drehtisch und automatischem Wechselsystem für die 180 Werkzeuge verlassen. Deutliche Einsparpotenziale wurden damit erreicht.

Prozesssicher und dreimal schneller: Simon Gunne, Fertigungsleiter der Scheuerle Fahrzeugfabrik, kann sich auf die neue Bimatec FP 18000 mit flexiblem Universalkopf, schwenkbarem Drehtisch und automatischem Wechselsystem für die 180 Werkzeuge verlassen. Deutliche Einsparpotenziale wurden damit erreicht.

Geringe Varianz steigert Vertrauen

„Grundsätzlich sind wir bestrebt, die Varianz an Werkzeugen und Platten gering zu halten. Bevorratung und Bestandsminimierung“, nennt Fertigungsleiter Gunne die eigene Strategie. Da Scheuerle an mehreren Maschinen möglichst die gleichen Fräser einsetzt, muss bei einem Bruch des Werkzeugkörpers nicht gleich ein neues Werkzeug beschafft werden. Zudem hat sich die WSP-Vielfalt deutlich reduziert.

„Mit den Korloy-Werkzeugen sind wir absolut zufrieden, und das Zirkularfräsen bringt neben dem enormen Zeitgewinn auch erheblich mehr Prozesssicherheit“, so Patrik Staate. Und das, obwohl das Bauteil aus hochfestem, schweißbarem Stahl in der Bearbeitung äußerst anspruchsvoll ist und beim Fräsen zu Vibrationen neigt. „Die Werkzeuge laufen mit höherer Umdrehung, erzeugen kurze Späne und gewährleisten höchste Prozesssicherheit. So kann der Bediener das Werkzeug laufen lassen und sich auf seine Aufspannarbeiten konzentrieren."

30 % mehr Ausbringung: Die Soraluce FP 18000 läuft im 3-Schichtbetrieb und löste zwei Maschinen im 2-Schichtbetrieb ab. Bei der Werkstückbearbeitung reduzierte sich die Bearbeitungszeit um 30 bis 40 %.

30 % mehr Ausbringung: Die Soraluce FP 18000 läuft im 3-Schichtbetrieb und löste zwei Maschinen im 2-Schichtbetrieb ab. Bei der Werkstückbearbeitung reduzierte sich die Bearbeitungszeit um 30 bis 40 %.

Mehr Maschinenkapazität für größere Fertigungstiefe

„Zu Beginn hatten wir große Zweifel an den berechneten Zeiten – mittlerweile sind wir überzeugt“, erinnert sich Industriemeister Patrik Staate. Durch die Pendelbearbeitung auf den beiden alten Maschinen blieb ein Bauteil früher deutlich länger in der Produktion als heute. Nun lassen sich zwei Plattformen tatsächlich parallel fertigen, der Durchsatz hat sich verdreifacht.

Durch den Kapazitätsgewinn kann die Fahrzeugfabrik deutlich mehr Fertigungstiefe erreichen. Zudem ist der integrierte Drehtisch wesentlich flexibler, um auch kleinere, kompakte Baugruppen noch wirtschaftlich bearbeiten zu können. „Automatische Werkzeugzuführung, Wechselsystem und schwenkbarer Drehtisch – die Flexibilität hat sich so stark erhöht, dass sich heute fast alle Bauteile darauf bearbeiten lassen. Wir haben kein Problem, die Maschine auszulasten“, betont Staate.

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